Aufruf zur Gründung jüdischer Kleingärten
Als den ersten praktischen Schritt zur ethischen Erneuerung der Judenheit durch allmähliche Umschichtung der Berufe hat der Daniel-Bund die Gründung jüdischer Schreber- oder Kleingärten für Obst- und Gemüsezucht nach Muster der städtischen Mietgärtenanlagen in München unternommen und zu diesem Zweck einen Fonds gebildet. Diese Gärten sollen auch jedem im Erwerbsleben tätigen Juden die Möglichkeit geben, einen Teil seiner berufsfreien Zeit der für Körper und Geist nützlichen Bodenkultur zu widmen und in engere Berührung mit der Natur zu kommen.
Für die Ansiedlung jüdischer Gartenbauer auf geschlossenem Territorium sprechen eine Reihe gewichtiger Gründe. Ein großer Teil der Städter, die ohne Vorkenntnisse und Erfahrung die ungewohnte Arbeit beginnen, bedarf der Anleitung und ständigen Unterweisung durch einen Sachkundigen, der natürlich auf geschlossenem Gebiet viel rationeller wirken kann. Ferner haben manche Juden als Heimgärten-Pächter, wenn sie zufällig neben einem antisemitischen Nachbarn ihre Gartenparzelle zugewiesen bekommen, oft einen schweren Standpunkt; dadurch werden einzelne jüdische Familien nicht selten von der Bewirtschaftung eines Heimgartens in christlichen Mietgärtenanlagen zurückgehalten. Eine gemeinsame Siedelung bietet die Möglichkeit zur gemeinsamen Beschaffung und dadurch billigerem Einkauf der notwendigen Einrichtung. Der genossenschaftliche Zusammenschluß und die Arbeit im engen Bezirk, das gemeinsame Ziel und der schließlich sich einstellende ehrlich verdiente Erfolg werden das Gemeinschafts-Bewußtsein stärken. Ferner wird die in einiger Zeit aufblühende Gartenanlage eindringlich und unwiderleglich jüdischen und nichtjüdischen Zweiflern vor Augen führen, daß der Jude den Weg zur produktiven Arbeit zurückfinden kann.
Die Heimgärten sind besonders für die heranwachsenden Kinder der jüdischen Pächter von größter Wichtigkeit: Mancher Sohn eines Kaufmanns, Rechtsanwalts usw., der vor der Berufswahl steht, könnte, wenn er seine Kräfte und Fähigkeiten auf dem Gebiete der Bodenbearbeitung erprobt hat, von den überfüllten kaufmännischen oder gelehrten Berufen Abstand nehmen und sich dem gesunden landwirtschaftlichen oder einem anderen produktiven Berufe zuwenden.
Das Unternehmen soll unabhängig von jedem Parteiprogramm sein, ebensowenig ist die Zugehörigkeit zum Daniel-Bund, von dem nur die Anregung und Förderung der Gartensiedelung ausgeht, erforderlich: auf dem Boden der Gartenarbeit sollen sich die Juden der verschiedensten Gesellschaftskreise, Parteirichtungen und Weltanschauungen in friedlichem nachbarschaftlichen Verhältnis nebeneinander betätigen. An den Samstagen und hohen jüdischen Feiertagen dürfen keine Gartenarbeiten von den Juden verrichtet werden.
Nach vorläufiger Besprechung mit dem Magistrat wurde für die in Aussicht genommene Siedelung ein Areal an der Heckenstallerstraße (Sendling, Linie 6) vorgemerkt. Eine Anzahl jüdischer Familien hat sich bereits bei uns gemeldet, darunter der in der Landwirtschaft sachkundige Rentner Herr Berthold Haymann, Schwanthalerstraße 93 (Rufnummer 50649), und Herr Dr. med. Julius Adler, Schubertstraße 6 (Rufnummer 52669). Beide Herren haben sich bereit erklärt, Auskunft bezüglich der neu zu gründenden jüdischen Heimgärten zu erteilen und event. Anmeldungen entgegenzunehmen.
Die Gärten können voraussichtlich schon anfangs nächsten Jahres bezogen werden. Eine frühzeitige Anmeldung, womöglich noch in diesem Monat September, ist wegen der nötigen Vorarbeiten und Herrichtung des Bodens vor dem Eintritt des Winters dringend geboten.
Ein Besucher der städtischen Mietgärten-Anlage an der Rosenheimerstraße, Herr Willy Kohn, schrieb uns u. a.:
„Es ist ein wahrer Genuß, wenn man bedenkt, daß man hier in unmittelbarer Nähe der Gro߬ stadt eine Gartenstadt hergezaubert hat. die einem in jeder Beziehung den Sommerurlaub ersetzt und noch dazu Obst und Gemüse liefert. Ab¬ seits vom großen Getriebe der Stadt sitzen hier die Pächter der Gärten vor ihren geschmackvoll gebauten Häuschen und erfreuen sich des Land¬ lebens, um doch nach wenigen Minuten wieder in der Stadtwohnung zu sein. Überall tummeln Kinder. Zwei Spielplätze mit Turngeräten und Bänken bieten Gelegenheit zur körperlichen Übung und zur Rast. Dieser Aufenthalt in freier Natur auf eigenem Boden übt auch seelisch auf die Pächter eine gute Wirkung aus. — Man sieht hier allerlei Gemüsesorten, reichtragende Obst¬ bäume, selbst Mais und Tabak. Stachelbeer- und Johannisbeersträucher und sogar einen kunstvoll angelegten Blumengarten; jeder baut und schafft nach seiner Art, einer lernt aus den Erfahrungen des andern. So hat die Anlage eine Höhe er¬ reicht. die jeden Beschauer mit Staunen erfüllt. Ein Wächter, der zugleich Gärtner ist. gibt die nötigen Anweisungen und sorgt, daß nachts nichts geraubt wird, auch liefert er die von den Ansied¬ lern benötigten Pflänzchen.
Wir Zionisten, die wir die Tat auf unsere Fahne geschrieben haben, müssen in erster Linie den Anfang machen und ähnliche Gärten in ge¬ schlossenen Gruppen sobald als möglich errichten. Wir müssen auch für die zukünftige Besiedlung Palästinas uns diese Art von intensivem Garten¬ bau zum Beispiel nehmen und uns schon hier im Galuth darauf vorbereiten. Die kleine Bodenfläche Palästinas im Verhältnis zu der großen Zahl von Einwanderern zwingt uns neben vielen anderen Umständen diese Bebauungsart zu erlernen und in der Praxis auszuüben.“
Eine Anzahl anderer Besucher dieser Garten¬ anlage äußerte in Wort und in Zuschriften an den Daniel-Bund ihre Bewunderung für die großartigen Leistungen der durchweg aus Laien bestehenden Pächter und die Notwendigkeit der Errichtung ähnlicher Heimgärten für die Juden. Ein Herr nannte diese Anlage eine wahre Friedensinsel und eine Dame sagte, sie hätte niemals glauben kön¬ nen, daß man mitten unter den Stadtmauern so etwas zu sehen bekäme.
Wer diese Anlagen besichtigen will, wolle dies an den Schriftführer des Daniel-Bundes. Herrn N. Chavkin. Bergmannstraße 7. mitteilen und die gewünschte Zeit für die Besichtigung angeben. Herr Chavkin besitzt selbst einen Garten in der städtischen Mietvärtenanlage Westendstraße und kann diese zu jeder Zeit Interessenten zeigen.
Die Vorstandschaft
des Daniel-Bundes. Vorsitzender: Hof rat Dr. med. Adolf Theilhaber.